Band 1:  Die andere Hälfte meiner Seele Teil I:  Ein dunkler, verzerrter Spiegel




Kapitel 3


CAPTAIN John J. Sheridan mußte wohl gestorben und in die Hölle gefahren sein.  Vielleicht hatte dieser Minbarikampfstab mehr getan, als ihn nur für ein paar Stunden bewußtlos zu schlagen.  Vielleicht hatte er seinen Schädel eingeschlagen und sein Körper lag nun in irgendeinem unbekannten Loch auf Vega 7, ungeschmückt und vergessen, während seine Seele in derjenigen Stufe des Hades war, die der Teufel für Leute wie ihn reserviert hatte.  Für Leute mit mehr Blut an ihren Händen, als man auf ganzen Planeten finden konnte.
      Liste der Anklagen: Die Zerstörung des Schwarzen Sterns.  Schuldig gemäß der Anklage, und verdammt stolz darauf.  Ein törichter Angriff auf den Grauen Rat und der Tod von zwei seiner Mitglieder.  Wie festgestellt.  Zahllose Minbari und Centauri im Verlauf eines vierzehnjährigen Krieges.  Keine Verteidigung.  Seine Tochter, alleingelassen für die Dauer von Minuten, aber gerade lang genug für eine Minbaribombe, um sie auseinanderzureißen.  Nachlässigkeit?  Schuldig.  Daß er seiner Frau erlaubt hatte, ein betrunkener, dummer Schatten ihres früheren Selbst zu werden?  Schuldig.  Daß er Leuten, die einen aussichtslosen Krieg kämpften, Hoffnung gegeben hatte, wo keine sein konnte?  Schuldig.
      Eine lange Liste von Anklagen, und sicherlich genug, um seine ewige Verdammung zu garantieren.  John Sheridan war niemals ein besonders religiöser Mann gewesen, aber er glaubte an die Hölle.  Er hatte sie gesehen, als er zu den Ruinen seiner Heimatwelt zurückgekehrt war.  Wenn das die Hölle gewesen war, war sie das hier vielleicht ebenso.
      Verraten von einem Narn, der ihm mehr schuldete, als jemals zurückgezahlt werden konnte.  Drei seiner Mannschaftsmitglieder - Franklin, Connally und Keffer - gefangen, wahrscheinlich bereits tot.  In Ketten nach Minbar gebracht und dem Grauen Rat wie ein Tier vorgeführt.  Verschachert und zum Streitpunkt gemacht.  Verhört von einer aus ihrer Mitte, Satai Delenn, die ihn verspottet zu haben schien, und die fast quälend nach Orangenblüten roch.  Und nun, allein im Dunkeln eingeschlossen mit einer Wahnsinnigen.  Einer mit Sicherheit wunderschönen Wahnsinnigen, aber dennoch einer Wahnsinnigen.  Einer Wahnsinnigen, die wiederholt die gleiche unsinnige Frage stellte.
      „Was wollen Sie?”
      John Sheridan blickte auf Susan Ivanova und beschloß schließlich zu antworten.  Wenn das eine Illusion war, die durch irgendeinen Minbari-Trick herbeigeführt wurde, konnte er vorgeben, ihr zu erliegen, um sie hereinzulegen.  Und wenn das ein Höllenbewohner war, gesandt, um ihn zu quälen, dann würde er sein Schicksal akzeptieren.  Er war in seinem Leben niemals vor irgend etwas geflohen, und er würde jetzt nicht damit anfangen.
      Das Problem war, als er beschlossen hatte, auf die Frage zu antworten, daß er nicht wußte, was für eine Antwort er geben sollte.  „Was meinen Sie?” fragte er schließlich.  „Es ist eine ziemlich dumme Frage, denken Sie nicht?  Besonders, wenn sie an einem Ort wie diesem gestellt wird.”
      „Kennen Sie irgend einen besseren Ort, um sie zu stellen?” entgegnete sie lächelnd.  „Vielleicht sollten wir nach Las Vegas gehen, und ich könnten Sie dort fragen.”
      „Es gibt kein Las Vegas mehr.”
      „Ich weiß.  Es ist wirklich schade.  Ich hätte es gern gesehen.  Einmal wenigstens.”
      „Sie haben nicht viel verpaßt, glauben Sie mir.”
      „Wenn Sie es sagen.  Also, Captain.  Was wollen Sie?”
      „Warum fragen Sie mich das?”
      „Es ist wichtig.  Sehr wichtig.  Was wollen Sie?”
      Sheridan lachte.  Das war absurd.  „Ich will heraus aus dieser Zelle.  Wie ist das als Anfang?”
      „Ist das alles, was Sie wollen?  Ich kann nicht glauben, daß Ihre Ambitionen so begrenzt sind, Captain.”
      „Das sind sie nicht.  Ich bin nur.... nicht sicher, wie ich diese Frage beantworten soll.”
      „Tun Sie nur Ihr Bestes.”
      Er lachte erneut.  Wenn diese Frau ein Dämon war, dann war sie sicherlich ein unterhaltsamer.  „Ich will auf die Babylon zurückkehren.  Ich will zu meiner Mannschaft zurück.  Ich will eine Million Meilen von diesem Planeten weg sein, und von diesem stolzen und mächtigen, perfekten Grauen Rat.  Ich will, daß jeder einzelne Minbari in diesem Universum ausgelöscht wird.  Ich will, daß sie genauso leiden, wie wir es getan haben.  Und ich will, daß die Narn genau das gleiche wie wir erleben.  Nach allem, was ich für sie getan habe, haben sie mich verraten, und nun sollen sie leiden, ihr Planet soll aus dem All gebombt und ihre Leute versklavt werden.  Und die Centauri ebenfalls, wenn wir schon dabei sind.  Sie hielten sich zurück und schauten zu, als wir kämpften und starben, also laßt sie leiden.  Ich will die Erde wieder in einem Stück zurück.  Ich will, daß meine Frau wieder die Frau ist, die sie war, als ich sie heiratete, nicht der.... der Schatten, der sie heute ist.  Ich will meine Tochter wieder zurück in meinen Armen haben.  Und.... und ich will ein großes Vanilleeis mit Sahne und allem drum herum.  Beantwortet das Ihre Frage?”
      Ivanova lachte.  Ein wirklich recht attraktives Lachen.  „Ich bin mir nicht sicher, was ich wegen Ihrer Tochter machen kann, oder wegen der Eiskrem, aber ich werde sehen, was ich wegen der anderen Dinge tun kann.”
      Sheridan konnte sich nicht helfen.  Er lachte ebenfalls.  „Einfach so?  Sie sind eine Illusion.”
      „Könnte eine Illusion das tun?” Ivanova trat zur Tür und drückte sacht.  Sie glitt auf.  Sheridan blinzelte, als das Licht plötzlich seine Zelle füllte, und dann starrte er auf Ivanova.  Sie streckte ihren Arm aus.  „Sollen wir jetzt gehen?  Oder hatten Sie geplant, hier länger zu bleiben?”

*    *    *    *    *    *    *

Delenn wußte, daß Draal hinter ihr stand, noch bevor er zu sprechen anfing.  Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, das Geräusch seiner Schritte zu erkennen.  Es war ein tröstliches Geräusch.  Es erinnerte sie an ihren Vater.
      „Du arbeitest wieder.  Ich vermute, ich sollte nicht überrascht sein, Delenn.  Schließlich hast du als ein kleines Kind niemals auf mich gehört, also warum solltest du jetzt damit anfangen, hmm?”
      Sie drehte sich um und lächelte.  „Ich muß eine furchtbare Last für dich gewesen sein, alter Freund.  Belastet zu sein mit einem so ungehorsamen Kind.”
      „Eine Last?  Nein.  Aber sicherlich eine Herausforderung.  Ich habe niemals irgendeinen anderen mit einem solchem Verlangen nach Wissen getroffen wie dich, vor allem, weil es dich ständig.... in seltsame Richtungen geführt hat.”  Er hielt inne und blickte auf sie in der einstudierten, scharfsinnigen Weise, die er so oft benutzte.  „Was ist es, Delenn?  Irgend etwas beunruhigt dich.”
      Sie wußte, daß es sinnlos war, ihren alten Lehrer, den besten Freund ihres Vaters, zu belügen.  „Ich.... ich denke, daß ich etwas entdeckt habe, alter Freund.  Etwas, das mich bis ins Mark erschüttert.  Ich hoffe.... ich bete, daß ich mich irre, aber ich bezweifle das.”
      „Dieses etwas, beinhaltet es den Menschen Sheridan?  Oh, schau nicht so überrascht, Delenn.  Es gibt noch immer einige im Grauen Rat, die noch auf einen schlotternden, alten Mann hören und ihn von Zeit zu Zeit mit Informationsbrocken füttern.  Gerade genug, um meinen Verstand am Arbeiten zu halten.  Der Sternenkiller wird in diesem Gebäude dort festgehalten, Delenn, und ich finde dich hier, immer noch am Studieren und Arbeiten, obwohl du es nicht zu tun brauchst.  Was ist mit diesem Menschen?”
      „Er ist.... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, alter Freund.  Da ist soviel Haß in seinen Augen, solche.... Fähigkeit zur Zerstörung.  Es ist beides, erschreckend.... und seltsam beruhigend.  Ich kann es nicht erklären, Draal, ich kann nur sagen, was ich fühle.  Ich denke, daß ich ihn bereits seit einer sehr langen Zeit kenne.  Vielleicht ist er der Eine, von dem die Prophezeiungen sprechen, der Eine, der bestimmt ist, uns gegen den zurückkehrenden Feind zu führen.”
      „Oder vielleicht ist er einfach nur ein Massenmörder.  Ich würde meinen, daß einer wie er ein besserer Kandidat wäre, um dem Feind zu dienen, als gegen ihn zu führen.”
      „Das ist es, was ich wissen muß.  Für wen wird er Partei ergreifen?  Ist er der Eine, von dem die Rede ist?  Da sind große.... Möglichkeiten in ihm und sie müssen auf unsere Seite gebracht werden.  Wenn er unserer Sache dienen kann, dann wird er ein wertvoller Verbündeter sein.” Sie war im Begriff, mehr zu sagen, aber sie zögerte.  Sie wußte, daß Draal vermutete, sie verheimliche etwas, aber nicht einmal er konnte das ahnen.  Daß sie glaubte, daß Sternenkiller Sheridan, ein Mann, der in der gesamten Minbari-Föderation gehaßt und gefürchtet wurde, eine Minbariseele besitze.
      „Ihn davon zu überzeugen wird schwer sein, Delenn, wenn nicht sogar unmöglich.”
      „Aber ich muß es versuchen.  Es mag sein, daß wir unseren neuen Entil'zha in jenem Gebäude eingesperrt haben.”
      Draals Augen wurden hart.  „Das habe ich nicht gehört, Delenn.  Es ist eine Sache, von Sheridan als einen potentiellen Verbündeten zu sprechen.  Ob zum Guten oder zum Schlechten, der Mann ist eine Macht in dieser Galaxie, aber als Entil'zha?  Ein Mensch, und gerade dieser, um die Rangers zu führen?  Nein, Delenn, das ist jenseits der Dummheit und fast schon Blasphemie.”
      „Es tut mir leid, alter Freund.  Ich denke.... mein Verstand rennt mit mir davon.  Aber wäre Sinoval eine bessere Wahl?  Wenn es keine Alternative gibt, wird Sinoval unser neuer Entil'zha werden.  Ich sah Sinoval und Sheridan heute in der Halle des Rates.  Es war, als ob sie zwei Seiten des selben Spiegels wären.  Ich befürchte, daß Sinovals Ambitionen mit ihm davonrennen.”
      „Aber du kannst ihn nicht stoppen, wenn du hier unten bist, Delenn.  Du bist die Auserwählte von Dukhat, vergiß das niemals.  Du mußt die Stimme der Vernunft im Rat sein, um Sinoval entgegenzutreten.  Du kannst das nicht tun, wenn du dich die ganze Zeit hier unten versteckst.”
      „Oh, aber ich kann, Draal.  Ich kann.”  Sie hielt inne und blickte auf den Mann, der ihr Leben so lange gestaltet hatte.  Dann stand sie auf und machte die rituelle Geste des Abschieds.  Er erwiderte sie und sah zu, wie sie wegging, niemals vermutend, daß sie unter ihren Roben ein Triluminarium trug.
      Um mit diesem Sheridans Seele zu testen.

*    *    *    *    *    *    *

„Die Transmission weist darauf hin, daß Captain Sheridan nach Minbar gebracht wurde, Commander,” sagte der Lieutenant.  David Corwin hörte zu und nickte, sagte aber nichts.
      Minbar.  Wenn die Widerstandsregierung auf Proxima 3 wüßte, was er tat, würde er vermutlich so schnell ins All befördert werden, daß er dächte, er wäre im Vakuum geboren worden, aber das mußte getan werden.  Captain Sheridan hatte sein Leben öfters gerettet, als er zählen konnte, und nun, da Sheridan in Gefahr war, mußte Corwin zur Hilfe eilen.
      „Irgend ein Wort über die anderen?”  Die Lieutenants Franklin, Keffer und Connally - keiner von jenen, die mit Captain Sheridan nach Vega 7 gegangen waren, war zurückgekehrt.
      „Die Nachricht, die wir abgefangen haben, erwähnte nur den Captain, Sir, aber ich nehme an....”
      „Nehmen Sie niemals etwas an,” schnappte Corwin.  „Also gut, wenn wir die Minbari-Heimatwelt angreifen wollen, dann ist jetzt eine genauso gute Zeit dazu wie sonst, meine ich.  Setzen Sie Kurs auf....”
      „Warten Sie, Commander.  Wir empfangen eine kodierte Nachricht.  Die Erdstreitkräfte, Sir.
      „Wenn es die Widerstandsregierung ist, dann....”
      „Nein, Sir.  Es ist.... ein alter Code, Sir.  Drei oder vier Jahre alt, aber er scheint von Minbar zu kommen.”
      „Wie könnten die Minbari einen vier Jahre alten Code....  Der Captain! Stellen Sie durch!”
      Corwin drehte sich im Stuhl - dem Stuhl des Captains - um und wandte sich zum Empfangsbildschirm: Er war verschwommen und leer, aber die ankommende Nachricht war klar.
      Captain Sheridan geht es gut.  Ich kann ihn von Minbar schaffen, aber wir brauchen anschließend eine Transportgelegenheit.  Holst du uns ab, David?  Warte bei diesen Koordinaten.
      „Es ist eine Falle, Sir.  Es muß eine sein.”
      „Nein,” hauchte Corwin.  „Oh nein, es ist keine.”  Er hatte die Stimme erkannt, und sprach ein leises Dankgebet zu dem Gott, an den er nicht länger glaubte.  „Setzen Sie Kurs auf die übertragenen Koordinaten.  Ich denke, daß wir den Captain wiederbekommen werden.”

*    *    *    *    *    *    *

Sheridan fühlte sich verloren in diesem Labyrinth aus Minbari-Korridoren, aber Ivanova schien zu wissen, wohin sie gingen.  Wußten diese verdammten Minbari nicht, wie man einen geraden Korridor baute?  Auch fühlte er sich mehr als nur ein wenig unbehaglich, und ein wenig lebendiger.  Er war hier, auf der Heimatwelt seines geschworenen Feindes, gefangen in einer Art bürokratischem Komplex, ohne Waffen und sein Schiff einige Systeme weit entfernt, und seine einzige Verbündete war eine mysteriöse Frau, die mehr als nur halb verrückt schien.
      Es war erheiternd.
      „Sie wissen, wohin wir gehen, oder?” fragte er Ivanova.  Er haßte es, anderen in Angelegenheiten wie diesen zu trauen.
      „Sie sind zu steif.  Wo ist Ihr Sinn für Spaß?  Für's Abenteuer?”
      „Sie wollen mich nicht etwa aufheitern, oder?  Ich hasse es, aufgeheitert zu werden.”
      „Fein, dann werden wir alle eines langsamen, entsetzlichen Todes sterben.  Besonders, wenn die Minbari uns erwischen.  Fühlen Sie sich jetzt besser?”
      „Nicht unbedingt.”
      „Gut.  Mein Bruder sagte immer, ich wäre zu pessimistisch.” Sie kamen an eine Gabelung der Korridore und Ivanova schaute in beide Richtungen.  „Es ist dieser Weg,” sagte sie, und zeigte auf einen der Wege.  „Denke ich.”
      „Auf welchem Weg kamen Sie hinein?”
      „Das ist.... äh, ein wenig schwer zu erklären.”
      Die beiden hatten gerade vier Schritte in die Richtung gemacht, in die Ivanova gewiesen hatte, als sich vor ihnen eine Tür öffnete und eine Minbari heraustrat.  Und nicht nur irgendeine Minbari.
      Sondern Satai Delenn.

*    *    *    *    *    *    *

Einen kurzen Augenblick lang war Delenn wie gelähmt.  Das war der Sternenkiller.  Irgendwie war er geflohen.  Sie bemerkte die Menschenfrau neben ihm kaum, sondern konzentrierte sich statt dessen auf Sheridan und die lodernde Wut in dessen Augen, die sie zwang, zurückzuweichen.
      Und dann sagte die Menschenfrau irgend etwas und Delenn drehte sich zu ihr um.
      Die Zeit schien sich zu verlangsamen, ein Augenblick, den Commander Corwin die lange Sekunde nannte.  Die Menschenfrau war nicht länger nur ein Mensch, sondern eine schwärzer werdende Silhouette, eine so absolute Dunkelheit, daß es ihre gesamte Seele durchdrang, ein Haß, mächtiger als der von Sheridan, weil er unter einer friedlichen und ruhigen Oberfläche verborgen war.
      Delenns nächster Gedanke war so schrecklich wie der, der ihr bezüglich Sheridans Seele gekommen war.  Der Feind ist wach, und er ist hierhin gekommen.
      Und dann ergab sie sich ihren Kampfinstinkten, die rigoros in sie geschmiedet worden waren von ihrem Vater, von Derhan, von Neroon.  Es spielte keine Rolle, wer diese Frau war, oder warum sie sich für Sheridan interessierte.  Es zählte nur, daß sie dem Feind diente - dem Feind, den zu bekämpfen Delenn ihr Leben gewidmet hatte.
      Sie schlug mit ihrer Faust aus, erwischte die Menschenfrau in einem unaufmerksamen Moment, und stieß sie zurück.  Die Frau stolperte, aber dann kam Sheridan auf sie zu.  Er schien zu zögern, bevor er zuschlug, aber dieser kurze Augenblick erlaubte ihr, seinem Schlag auszuweichen und seinen Magen zu treffen.  Er stolperte ebenfalls und sie gewann genug Zeit, um ihren Kampfstab zu entfalten, eine Jahrhunderte alte Waffe, die ihr in Liebe von Neroon gegeben worden war.  Es war eine tödliche Waffe in den Händen eines Meisters, und obwohl Delenn nicht Derhan war, war sie dennoch gut genug unterrichtet worden.
      Sie wich bis an die Wand zurück und ergriff den Stab fest mit beiden Händen.  Sie kannte die menschliche Physiologie nicht so gut, wie sie sollte, aber sie wußte genug, um diese zwei außer Gefecht zu setzten, und dann müßte der Rat gewarnt werden.  Nicht nur, daß Sheridan geflohen war, sondern auch, daß der Feind hier war.
      Da war plötzlich ein Geräusch, ein Summen und Knistern.  Delenn stutzte und drehte sich um.  Ein Schimmern war direkt vor ihren Augen, ein Schimmern in der Form einer riesigen, mißgestalteten Krabbe.  Die Vernunft verließ sie und sie stieß ihren Stab vorwärts und schlug vergeblich auf die Bestie vor ihr aus, eine Bestie aus allen ihren schlimmsten Alpträumen.
      Diese bewegte sich mit einer scheinbar unmöglichen Geschwindigkeit.  Eine schnelle Bewegung und sie fiel, in Agonie, sich sehr wohl bewußt, daß die warme Feuchtigkeit, die sie in ihrem Bauch fühlte, ihr eigenes Blut war.

*    *    *    *    *    *    *

„Was zum Teufel war das?” fragte Sheridan, als er auf die gefallene Delenn starrte.  „Würden Sie mir das bitte sagen?”
      „Ein Freund, Captain.  Sie werden herausfinden, daß wir sie überall haben.  Kommen Sie.  Sie hat vielleicht einen Alarm oder etwas ähnliches ausgelöst.”
      Ivanova bückte sich und hob die seltsame Waffe auf, die Delenn benutzt hatte.  „Ein schneller Schlag ins Genick und sie wird Sie nie wieder belästigen, Captain.”
      Orangenblüten.  „Nein, wir werden sie mit uns nehmen.”
      „Und Sie sagten, ich wäre verrückt?”
      „Schauen Sie, die Minbari werden uns nicht bedrohen, wenn wir eine aus dem Grauen Rat bei uns haben.  Bedenken Sie, was für eine Geisel sie abgeben wird, ganz zu schweigen von dem, was sie weiß.  Nun kommen Sie, Sie sagten, Sie wüßten einen Weg aus diesem Ort heraus.”
      Ivanova zuckte die Achseln und preßte den Kampfstab zusammen.  „Ich wollte immer eines von diesen Dingern.  Ich habe meinen Vater einmal um eins zu Weihnachten gebeten.  Es ist dieser Weg.”
      Sheridan bückte sich, um Delenn aufzuheben, und bemerkte ein kleines, dreieckiges Objekt, das aus ihrer Robe gefallen war.  Ohne zu überlegen stopfte er es in seine Tasche und hob sie auf.  Er war überrascht, wie leicht sie war, und von der Tatsache, daß der Geruch von Orangenblüten nun von dem Duft von Blut und Tod ersetzt wurde.  Wäre er weniger in Gedanken vertieft gewesen, hätte er vielleicht das gleiche summende und knisternde Geräusch bemerkt, das Satai Delenn so beeinflußt hatte.

*    *    *    *    *    *    *

„Captain!  Schön, Sie wiederzusehen.  Ich dachte.... das heißt....  Gut, Sie wiederzuhaben, Sir.”
      „Gut, wieder da zu sein, David.”  Sheridan trat aus dem Shuttle heraus in die kleine Landebucht an Bord der Babylon.  „Wir haben einen Gast, der dringend medizinische Hilfe benötigt.  Bitten Sie Dr. Kyle, sofort einen Blick auf sie zu werden.”
      „Ich bin hier, Captain,” sagte der ältere Arzt und rannte an Sheridan vorbei in das Shuttle, während Ivanova immer noch sehr still hinter Sheridan stand.  Dann kam der Arzt heraus.  „Aber Captain, sie ist eine....”
      „Eine Minbari, ich weiß.  Um genauer zu sein, sie ist Satai Delenn vom Grauen Rat.”  Corwin entfuhr ein leiser Pfiff.  „Sie mag vielleicht unser Mittel sein, diese ganze Sache zu beenden, und auch wenn sie es nicht ist, können Sie sich eine bessere Geisel vorstellen?”
      „Ich glaube, Sie riechen nach Rosen, Sir.”
      „Eher nach Orangenblüten.”
      „Wie bitte, Sir?”
      „Es ist nichts.  Wie geht es ihr, Doktor?”  Delenns Wunde hatte zuerst sehr ernst ausgesehen, aber Sheridan hatte die unglaubliche Minbari-Konstitution aus erster Hand gesehen.  Sie war während der gesamten Zeit, als er sie von dem Komplex in das Shuttle getragen hatte, halb bei Bewußtsein geblieben und war während der Zeit, in der sie das Shuttle von dem Planeten zur Babylon genommen hatten, ständig in die Bewußtlosigkeit und wieder heraus gedriftet.  Sie waren während ihrer Flucht auf keinen Widerstand gestoßen, etwas, was ihn ein wenig Sorgen bereitete.
      „Sie wird sich wieder erholen.  Es sieht schlimmer aus, als es ist.”
      Sheridan nickte.  „Gut.  Ich will sie lebend.  Sie hat eine Menge Fragen zu beantworten.”
      „Sie ist nicht die einzige,” murmelte Corwin.  „Captain, was ist genau auf Vega Sieben passiert?  Und wie kamen Sie dort so leicht heraus?  Ich meine, ich will nicht respektlos sein oder so, aber man verläßt nicht einfach die Heimatwelt der Minbari, als wäre es ein Laden um die Ecke.”
      „Das ist sonderbar.  Ich habe mich selbst das Gleiche gefragt.”  Sheridan sah flüchtig auf Ivanova, die hinter ihm ins Blickfeld trat.
      „Ich sagte es Ihnen.  Wir haben überall Freunde, Captain.”
      Aber Sheridan hatte Ivanovas Antwort gar nicht gehört.  Er hatte nur Corwins Reaktion gehört.  „Susan!”
      „Sie beide kennen sich?”  Zu Sheridans Überraschung kam Ivanova langsam auf Corwin zu, blickte in sein immer noch sprachloses Gesicht, und gab ihm einen langen und sehr leidenschaftlichen Kuß..  „Sie beide kennen sich also tatsächlich.”
      „Das taten wir,” antwortete Corwin.  „Ich dachte, du wärst tot.  Ich meine, ich hoffte wegen der Stimme, aber dann dachte ich, du könntest es nicht sein.  Du warst tot.”
      „Ich war es.  Aber jetzt geht es mir besser.”
      Corwin starrte sie noch immer an, aber dann schüttelte er seinen Kopf und blinzelte.  „Es tut mir leid, Captain.  Ich war.... abgelenkt.”
      „Das habe ich bemerkt.  Irgend ein Wort über die Lieutenants Keffer, Franklin und Connally?”
      „Nichts, Sir.  Ich dachte, sie wären bei Ihnen.”
      „Ich weiß nicht, wo sie sind, aber ich kenne einen Narn, der es tut.  Na'Far hat mich verraten, und ich will herausfinden, warum.  Er erwähnte etwas über den Kha'Ri.  Wenn die Narn angefangen haben, mit den Minbari zusammenzuarbeiten, dann sind wir alle in Unannehmlichkeiten.  Setzen Sie Kurs nach Vega Sieben.”  Er blickte auf Ivanova.  „ Geheimnisse können bis später warten.”

*    *    *    *    *    *    *

Satai Sinoval, Shai Alyt im heiligen Jihad, Kriegsführer des Clans der Windschwerter, Mitglied des Grauen Rates und der zukünftige Entil'zha, betrat sein persönliches Quartier und blickte scharf auf die Person, die bereits dort war.
      „Der Sternenkiller ist geflohen,” schnappte er.  „Er spazierte aus diesem Gebäude hinaus, obwohl du mir versichert hast, daß er hier sicher wäre.  Er spazierte einfach hinaus und niemand dachte auch nur daran, ihn aufzuhalten.  Es war, als ob meinen Wachen befohlen worden wäre.... sich nicht einzumischen, nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen, daß er überhaupt da war.  Aber das könnte nur geschehen sein, wenn ich es so befohlen hätte, und ich habe das definitiv nicht getan.”
      „Ich nahm mir ein paar.... Freiheiten heraus, Sinoval.  Verzeih, wenn ich dich gekränkt habe.”
      „Ich vermute, du hattest einen guten Grund.”
      „Nenn es einfach, daß ich einen der vielen Gefallen eingefordert habe, die du mir schuldest.  Außerdem weiß ich aus einer sehr guten Quelle, daß Sheridan doch von irgend jemanden gesehen wurde.  Von einer gewissen.... Freundin von dir.  Ich bezweifle, daß es schon allgemein bekannt ist, aber ich glaube nicht, daß Satai Delenn dir weiterhin im Rat Probleme bereiten wird.”
      „Bist du dir dessen sicher?  Sheridan hat sie getötet?”
      „Entweder getötet oder gefangen genommen.  Es spielt wirklich keine Rolle.  Wenn du klug bist, kannst du die Schuld an seiner Flucht auf sie schieben.  Ich wußte, daß es dir gefallen würde.  Nun sage mir, war dein Gewinn sein Verschwinden wert?”
      „Ich werde nicht eher ruhen, bis Sheridan und die seinen tot sind.  Blut verlangt nach Blut!  Für die Dralaphi, für die Emphili und die Dogato, für....”
      „Ja, ja.  Ich weiß.  Du wirst, was ihn betrifft, deine Gelegenheit schon früher oder später bekommen.  Sei geduldig, so wie ich es war.  Außerdem wirst du jetzt den Krieg mit wenig Einmischung von Delenns Seite zu den Erdlingen bringen können.  Ich würde natürlich gern dabeisein, wenn du das tust.  Persönlich schulde ich den Erdlingen zuviel, um einfach dazustehen, während du sie mit all' den hübschen Waffen auslöschst, mit denen ich dich ausgestattet habe.  Also, was sagst du dazu, Entil'zha?  Oder sollte es Allerheiligster heißen?”
      „Ich glaube, daß du deinen Beinamen heute mehr als verdient hast.”
      Als sie lächelte, dachte Sinoval, daß Kriegsmeisterin Jha'dur, die letzte der Dilgar, niemals den Namen, wegen dessen sie in der gesamten Galaxie gehaßt und beschimpft wurde, mehr verdient hatte.
      Die Todesbringerin.



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