Band 1:  Die andere Hälfte meiner Seele Teil I:  Ein dunkler, verzerrter Spiegel




Kapitel 2


GENERAL William Hague blickte aus seinem Bürofenster auf die grauen Schlackehaufen und den staubigen Himmel von Proxima 3 und seufzte leise.  Was für ein Ort zum Leben für einen Menschen war das?  Wo waren das Gras, die Bäume, das sanfte Zwitschern der Vögel am Morgen?  Proxima 3 war eine Einöde, eine sicherlich strategisch wertvolle und wichtige Einöde, aber trotz allem nur eine Einöde.
      Es war aber auch das neue Zuhause der menschlichen Rasse.
      Seit die Minbari die Erde besiegt und zerstört hatten, war die Menschheit gezwungen gewesen, in alle Richtungen zu fliehen.  Die meisten ihrer Kolonien waren bereits gefallen, Orion war vernichtet, der Mars zerstört, das Vega-System extrem bedroht und nur dadurch gerettet worden, indem es den Narn erlaubt hatte, die Kontrolle zu übernehmen.  Proxima 3 war die letzte Bastion der menschlichen Stärke, das Zuhause der allerletzten Hoffnung auf den Sieg über die Minbari.  Eine trockene, trostlose, schmutzige Welt.
      Und wer war diese allerletzte Hoffnung auf den Sieg?  Nicht General Hague selbst, sicherlich nicht Präsidentin Crane oder Vizepräsident Morgan Clark.  Nein, die allerletzte Hoffnung der menschlichen Rasse war ein Mann, der in jeder Beziehung tot war, die zählte - ausgenommen im physikalischen Sinne.  Captain John J. Sheridan.  Der Sternenkiller.
      Und diese allerletzte Hoffnung war seit über dreißig Stunden überfällig von einer Routine-Aufklärungsmission im Sektor 14.  Er und seine Babylon waren im Grunde genommen alles, was von den einst mächtigen Erdstreitkräften übrig geblieben war.  Falls er irgendwo verloren ging, dann waren auch die Erdstreitkräfte verloren, gute zehn Jahre nach dem Fall der Erde selbst.
      General Hague war bei dieser letzten verbissenen Verteidigung, der Schlacht um die Erde, nicht auf dem Planeten gewesen.  Er hatte vergeblich versucht, die Orion-Kolonien zu verteidigen, aber die Minbari waren durch ihre Verteidigung gebrochen, als ob sie nicht einmal existiert hätte.  Wenn Sheridan nicht kurz vor Beginn seines fast apokalyptischen Angriffs auf die Minbariflotte - später als die Schlacht über dem Mars bezeichnet -  zur Rettung geeilt wäre, wäre Hague über Orion gestorben.
      Seine Kommunikationsanlage summte und er ging zurück zum Schreibtisch.  Höchste Zeit, John, dachte er.  Ich bin zu alt, um mir Schocks wie diese zu versetzen.  Aber das Gesicht, welches auf der Kommunikationsanlage erschien, war nicht Sheridan, sondern sein Stellvertreter, Commander David Corwin.
      „Was gibt es?” fragte Hague.  „Berichten Sie, Mr. Corwin.”
      „Unser erster Scan des Sektors 14 zeigte an, daß der Bereich leer war, Sir.  Kein Anzeichen von irgendwelchen Centauriübergriffen, aber dann gerieten wir an einen Minbari-Kreuzer, wahrscheinlich ebenfalls auf Patrouille.  Wir zerstörten ihn in einem Feuergefecht, aber die Babylon wurde ernsthaft beschädigt.  Die Kommunikationssysteme waren außer Betrieb und die Sprungtriebwerke gefährlich instabil.  Der Captain befahl uns, für Reparaturen nach Vega 7 zu fliegen.  Er ging hinunter auf die Oberfläche, um sich mit Administrator Na'Far zu treffen, und kehrte nicht zurück.  Ich erhielt nur eine Nachricht, die mir befahl, die Babylon von Vega 7 wegzubringen, gerade noch rechtzeitig, denn ein Minbari-Kreuzer verbarg sich hinter dem Mond von Vega Sieben.  Captain Sheridan und die Lieutenants Franklin, Keffer und Connally werden seitdem vermißt.  Sie sind entweder tot oder gefangengenommen worden.  Glücklicherweise haben wir es geschafft, die meisten Reparaturen abzuschließen, die Kommunikationssysteme hingegen sind erst seit kurzem wieder in Betrieb.  Ich bitte nun um die Erlaubnis, nach Vega Sieben zurückzukehren, um den Captain zu finden, Sir, und wenn nötig, einen Rettungsversuch zu starten.”
      General Hague lehnte sich zurück und rieb seine Augen.  „Erlaubnis verweigert, Commander.”
      „Aber Sir...”
      „Ich sagte, Erlaubnis verweigert.  Die Babylon ist zu wertvoll, um sie zu riskieren.  Wenn Vega Sieben kompromittiert wurde, ist das einzige, was wir tun können, die Regierung der Narn zu benachrichtigen und das Gebiet zu verlassen.  Bezüglich Captain Sheridan.... wenn er noch lebt, dann bin ich mir sicher, daß er fähig sein wird, der Gefangennahme zu entgehen oder zu fliehen und hierhin zurückzukehren.  Er ist sehr findig, wie Sie sicher wissen.  Und falls er tot ist, dann kann - und werde - ich nicht unseren einzigen übriggebliebenen schweren Kreuzer für ein Selbstmordkommando riskieren.  Wir alle brauchen die Babylon viel zu sehr, Commander.”
      „General, ich bitte Sie!”
      „Das ist ein Befehl, Commander!  Sie werden unverzüglich für einen ausführlichen Bericht nach Proxima Drei zurückkehren.  Haben Sie das verstanden?”
      „Ja, General.”
      „Gut.  Hague Ende.”  Der Bildschirm wurde schwarz und Hague vergrub seinen Kopf vor Verzweiflung in seinen Händen.  Was sollte man machen, wenn sogar die allerletzte Hoffnung fort war?  Zuerst, nimm dir einen Drink, und als zweites, versuche etwas zu finden, was du Sheridans Frau sagen kannst.
      Auf der Brücke der Babylon lehnte sich Corwin ebenfalls vom Bildschirm zurück.  „Zum Teufel!” fauchte er.  „Lieutenant, setzen Sie Kurs auf Vega Sieben.  Wir werden den Captain zurückbekommen, auch wenn wir dafür jeden Minbari auf der Welt auseinanderreißen müssen.”

*    *    *    *    *    *    *

„Ich bin Grau.  Ich stehe zwischen der Kerze und dem Stern.  Wir alle sind Grau.  Gemeinsam stehen wir zwischen der Finsternis und dem Licht.  Ich bin gekommen, um den Platz einzunehmen, der mir bestimmt ist.”  Delenn zog die Kapuze ihrer rauhen grauen Robe zurück und trat in die Säule aus Licht, um den Kreis der Neun zu vervollständigen.
      „Es ist gut, dich wieder bei uns zu haben, Delenn,” sagte Satai Lennann zu ihrer Rechten.  „Du scheinen bei jeder sich bietenden Gelegenheit von uns fort zu sein.  Ich hoffe, es liegt nicht an unserer Gesellschaft?”
      „Nein,” entgegnete sie sanft lächelnd.  „Ich studiere die Prophezeiungen, Lennann.  Es ist eine harte und ermüdende Arbeit.”
      „Dessen bin ich mir sicher,” krächzte eine rauhe Stimme von der gegenüberliegenden Seite des Kreises.  „Aber wir haben eine Verpflichtung gegenüber den Neun, und dem Bund, den wir mit Valen geformt haben.  Vergiß das nicht, Delenn.  Deine erste Pflicht gilt immer dem Rat, nicht deinen persönlichen Nachforschungen.  Wir sind hier schließlich neun, nicht acht.”
      „Ich vergesse das bestimmt nicht, Sinoval,” entgegnete sie, als der Krieger seine eigene Kapuze zurückzog.  „Ich versuche lediglich, auf jede mir mögliche Weise zu dienen.”
      „Aber welcher Sache dienst du am meisten, Delenn?  Dem Rat oder deinen eigenen Interessen?”
      „Sinoval!” brüllte Hedronn.  „Das ist genug!  Noch niemals zuvor hatte ein Satai Vorwürfe gegen die Handlungen eines anderen erhoben.  Wir müssen einfach darauf vertrauen, daß Delenn Valen so dient, wie wir alle.  Und nun müssen wir uns der Angelegenheit hinwenden, über die wir gerade diskutiert haben.”
      „Zu lange schon sind die Rangers führerlos und ohne Ordnung gewesen.  Branmers Tod bedeutet, daß es keinen Entil'zha gibt, um sich dem kommenden Feind entgegenzustellen.  Wir müssen einen wählen, und zwar schnell, denn ohne einen Entil'zha kann es keine Ranger geben.  Falls wir nicht fähig sind, einen Entil'zha zu wählen, wie können wir dann einen Anführer wählen, wenn der Trauerzyklus für Dukhat erst einmal vorüber ist?”
      „Hat irgendeiner es geschafft, den von Branmer gewählten Ersatz zu finden?” fragte Lennann.  „Diesen.... Alyt Neroon?”
      „Neroon hat seine eigene Entscheidung getroffen,” sagte Delenn und hoffte, daß niemand von den anderen den Schmerz in ihrer Stimme hören konnte.  „Er hat seine Berufung an einem anderen Ort gefunden.  Es wäre unangemessen für uns, das in Frage zu stellen.”
      „Neroon ist weggelaufen,” schnaufte Sinoval verächtlich.  „Um sich vor dem Krieg, den wir führen müssen, zu verstecken.  Es ist ein großer Verlust.  Er diente Branmer in den beiden Kriegen gegen die Erdlinge und den Feind ausgezeichnet, aber wenn er nicht dienen will, dann muß es ein anderer tun.”
      „Aber wer?” fragte Lennann.  „Niemand von den anderen hat das Verlangen, oder das Training, oder das Talent zu führen.”
      „Die Ranger sind Krieger,” wies Sinoval die anderen hin.  „So wie es sich gehört, denn wer sonst muß den Krieg gegen den Feind führen?  Und wer ist besser geeignet, sie zu führen, als ein Krieger?  Ich habe die Windschwerter in dem Krieg gegen die Erdlinge gut geführt, nicht wahr?  Viele innerhalb meines eigenen Clans dienen als Rangers, oder nicht?  Ich spreche hier für die Kriegerkaste, tue ich das nicht?  Satai, ich biete mich selbst für die Position des Ranger Eins an.”
      „Das ist unmöglich, Sinoval, das weißt du genau,” sagte Hedronn.  „Deine Pflichten als Satai, deine Pflichten gegenüber den Neun versagen dir die Zeit, auch Entil'zha zu sein.”
      „Delenn findet die Zeit, die Prophezeiungen zu studieren und das hindert sie nicht an ihren Pflichten als Satai.  Oder vielleicht tut es das doch.  In diesem Fall sollte sie aus der Versammlung entlassen werden.”
      „Sinoval!  Ich habe dich zuvor gewarnt.  Gegen ein Mitglied dieses Rates dürfen keine Vorwürfe erhoben werden.  Delenn hat uns in diesen letzten sechzehn Zyklen gut gedient, und sie war die Auserwählte von Dukhat.  Du bist hier viel kürzer als sie, und solltest ihr den gebührenden Respekt erweisen.”
      Hedronn blickte wütend auf Sinoval, und beide, Arbeiter und Krieger, warfen sich starre Blicke durch die Halle des Rates zu.  Delenn blickte auf beide mit jäher Verzweiflung.  Sinovals Ambitionen waren gut bekannt, aber eine Fehde zwischen Arbeiterkaste und Kriegerkaste konnte nicht nur den Rat auseinanderreißen, sondern auch Minbar selbst.  Daß einer, der so mit Stolz und Arroganz erfüllt war wie Sinoval, so hoch steigen sollte, war eine schlimme Sache für ganz Minbar, aber Delenn würde nicht zulassen, daß ein Krieger den Rat zerstörte - nicht, wenn der Streit um sie ging.
      „Hedronn!  Sinoval!  Dieser Rat ist kein Platz für Streitereien und Geschrei,” sagte sie.  „Wir alle dienen auf die uns bestmögliche Weise.  Wenn Sinoval glaubt, daß er am besten dienen kann, wenn er die Ranger führt, dann soll es so sein.”
      „Du würdest mich unterstützen?” fragte Sinoval, während der Argwohn in seinen dunklen Augen aufflammte.
      „Nein.  Ich unterstütze die Ranger, ich unterstütze die Erfüllung der vor uns liegenden Aufgabe, und ich unterstütze die Maßnahmen, die wir unternehmen müssen, um diese Aufgabe zu erfüllen.  Falls du die beste Person bist, um die Ranger zu führen - wie du behauptest - dann solltest du die Position des Ranger Eins haben.  Falls du es nicht bist, dann müssen wir darauf vertrauen, daß du dies eingestehen und die Position einem besser qualifizierten übergeben wirst.  Ohne Vertrauen in den anderen wird der Rat gewiß fallen, und Minbar wird es genauso ergehen.”
      „Wie immer die Stimme der Vernunft,” flüsterte Lennann, und sie lächelte über seine Ermutigung.
      Sinoval drehte sich plötzlich um, als ein junger Akolyth hinzukam, um ihn zu sprechen.  Seine Säule aus Licht verblaßte und Delenn starrte nun in die Schwärze, wo jene Säule gewesen war.  Sie glaubte nicht, daß sie diese neue Entwicklung mochte.  Als das Licht wieder zurückkehrte, wußte sie aufgrund des Ausdrucks von Triumph auf Sinovals Gesicht, daß sie das, was jetzt kam, nicht mögen würde.
      „Gefährten Satai,” sagte er.  „Ich habe große Neuigkeiten.  Der Mensch Sternenkiller Sheridan wurde von Kriegern aus dem Clan der Windschwerter gefangengenommen.  Er wurde bereits in Fesseln hierher gebracht, um unserem Urteilsspruch über seine Verbrechen ins Auge zu blicken.”
      Delenn stutzte.  Der Sternenkiller?  Sie wußte von Sheridan, jeder Minbari tat das, nicht nur wegen der Dralaphi, sondern auch wegen seines direkten Angriffs auf das Herz von Minbar - den Grauen Rat selbst.  Wenige Wochen nach dem Fall der Erde, als die große Minbariflotte ihre Aufmerksamkeit auf die andere menschlichen Kolonie auf dem Mars gerichtet hatte, hatte Sheridan einen törichten Angriff auf eben dieses Schiff gestartet, zwei Satai getötet und vielen Flüchtlingen erlaubt, von dem Planeten zu fliehen.  Und somit hatte Sheridan die Ereignisse in Bewegung gesetzt, die es Sinoval und Lennann erlaubt hatten, an die Macht zu kommen.
      Als Delenn auf Sinoval blickte, bezweifelte sie, daß der Krieger Sheridan für die Position, die dieser ihm gegeben hatte, danken wollte.  Oh nein, ganz gewiß nicht.

*    *    *    *    *    *    *

Als die Nacht über die Minenkolonie Vega 7 hereinbrach, waren alle Leute bereits im Schlaf versunken.  Marcus Cole, Minenarbeiter, schlief den Schlaf eines Betrunkenen und Verärgerten.  Sein Bruder Joseph und dessen Frau Katherine schliefen einen frustrierten, zurückhaltenden Schlaf.  Administrator Na'Far schlief den von Schuld geplagten Schlaf eines Beschämten.  Gefesselt in ihren Zellen, schliefen die Lieutenants Franklin und Connally nicht, während Lieutenant Keffer aufgrund seiner Verletzungen vor Schmerzen schrie.
      Über der kleinen und unbedeutenden Kolonie erschien etwas Uraltes und Dunkles und stieß einen Schrei aus, der die Nacht durchbrach.  Alle Frühwarnsysteme wurden zerstört.  Es war nun völlig allein in der Nacht.
      Abgesehen von etwas unter der Oberfläche von Vega 7, von etwas, das erst kürzlich durch Grabungsarbeiten geweckt worden war, von etwas Uraltem und Dunklem, seit einem Jahrtausend dort vergraben.
      Es begann sich zu rühren.

*    *    *    *    *    *    *

„Mein Name ist John J. Sheridan.  Rang: Captain, Erdstreitkräfte.  Meine Seriennummer....”
      Delenn blickte neugierig auf den Menschen im Zentrum des Kreises.  Das sollte der legendäre Sternenkiller sein?  Nur ein Mann.  Blutend, gezeichnet, aber dennoch ungebeugt.  Aufrecht und triumphierend stand er da, sogar in seinen Fesseln.  Nein, das war nicht bloß ein Mann.  Er war der Sternenkiller, und als sie ihn anblickte, erkannte Delenn, daß er vermutlich wirklich Sterne töten konnte.
      „Wir wissen, wer Sie sind, Erdling,” fauchte Sinoval in Sheridans Muttersprache.  Sheridan drehte sich um, um ihm ins Gesicht zu blicken, und Delenn erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf den reinen Haß, der in seinen menschlichen Augen brannte.  Er spiegelte den in Sinovals eigenen Augen wider.
    Ein Krieger zum nächsten....  Hatte Neroon das meinte, als er von dem Drang gesprochen hatte, zu kämpfen und  zu ringen?  Sogar nach den Sternen zu greifen?  Von Haß und Feuer und Respekt und Ehre, die in einem Herzen brannten?
      „Das ist alles, was ich autorisiert bin, Ihnen zu sagen,” antwortete Sheridan, der die Worte offensichtlich auswendig sagte.  „Ich verlange zu erfahren, was mit meinen Mannschaftsmitgliedern geschehen ist.”
      „Sie waren irrelevant, Sternenkiller.  Bloß Lakaien.  Man wird sie töten und ihre sterblichen Reste beseitigen.”
      „Sie Bastard!” schrie Sheridan.  „Ich schwöre bei Gott, daß Sie für ihren Tod bezahlen werden, Sie seelenloser, kaltherziger Bastard!  Für alles, das Sie der Erde, meinen Leuten, meiner Tochter angetan haben!  Ich werde mit meinen eigenen zwei Händen das Leben aus Ihrer wertlosen Kehle quetschen!”
      Sinoval lachte leise.  „Das glaube ich nicht, Sternenkiller, und wenn wir schon über Reparationen reden, dann erinnern Sie sich, wer als erster in diesem Krieg zugeschlagen hatte.  Wer hatte den ersten Schuß abgefeuert?  Wessen Blut ist an wessen Händen?  Da ist genug Blut an Ihren, um eine gesamte Generation zu kennzeichnen.”
      Ein Krieger zum nächsten. Sie mögen nicht vom gleichen Blut sein, aber sie haben das gleiche Herz.  Delenn stutzte.  Ein Krieger zum nächsten.  Das gleiche Herz.  Die gleiche Seele?  Die andere Hälfte unserer Seelen?
      Valen, nein!
      „Was ist mit dir, Delenn?” fragte Lennann, der offensichtlich ihren Kummer bemerkt hatte.
      „Entschuldige bitte, Lennann.  Ich war bloß.... verwirrt.  Da war ein solcher Haß in seiner Stimme.”  Er blickte sie jetzt direkt an, aber sie hielt dem stählernen Haß in seinen Augen stand.  „Ein solcher Haß.”
      „Er ist ein primitiver Barbar,” sagte Sinoval.  „Seine Sprache ist dafür Beweis genug.  Ich war mir nicht bewußt, daß du sie sprichst, Delenn.”
      „Ich habe ein paar kleine Stückchen gelernt,” sagte sie zögernd.  In Valens Namen, was, wenn das wahr ist, was ich befürchte?  Es ist zu.... zu obszön, nur daran zu denken.  „Ich hoffe, daß er in Gewahrsam bleibt, bis wir über sein Schicksal beschließen können.”
      „Was gibt es da zu beschließen?  Er ist der Sternenkiller!  Das Blut von vielen ist an seinen Händen, einschließlich des von zwei derer, die hier einst standen.  Einfach exekutieren und Schluß.”
      „Das wäre verfrüht,” sagte Delenn.  „Er mag Informationen besitzen, die für uns von Nutzen wären.  Wir müssen herausfinden, was er weiß.”  Und ich muß überprüfen, was ich vermute.  Valen, laß mich im Unrecht sein.
      „Ich stimme Delenn zu,” entgegnete Hedronn.  „Falls wir tatsächlich den Rest der Erdlings-Zivilisation angreifen, worum du immer wieder bittest, Sinoval, werden wir sein Wissen brauchen.”
      „Also gut,” stimmte Sinoval zu.  „Ich will aber keinen Menschenbastard an diesem Ort haben.  Er ist nur für uns gedacht.  Bringt ihn auf die Oberfläche.”
      „Das wäre.... weise,” bestätigte Delenn und blickte auf Sheridan, als er von zwei Akolythen hinausgeführt wurde.  Er warf ihr einen starren Blick zu und sie erwiderte ihn standhaft.  Sein Haß war fast greifbar.  In Valens Namen, wie konnte jemand nur so sehr hassen?
      Und dann kam die Erinnerung.  Dukhat lag in ihren Armen und die Menschen, die es getan hatten, waren noch immer in der Nähe.  Da war eine an sie gestellte Frage.  Eine Frage.... und eine Antwort.  „Tötet sie!  Tötet sie alle!”
      „Und nun,” fuhr Hedronn fort, „zur Position des Entil'zha....”

*    *    *    *    *    *    *

Mein Name ist John J. Sheridan.  Rang: Captain, Erdstreitkräfte.  Meine Seriennummer....  Ja, sag das immer wieder, Johnny.  Vielleicht wird es dir helfen, deinen gesunden Verstand zu behalten, bis sie endlich entschieden haben, dich zu töten.
      Seine erste Erinnerung, nachdem er auf Vega 7 bewußtlos geschlagen worden war, war die an das Aufwachen in einem kleinen Raum.  Alles roch nach Minbari, ein Geruch, der ihn wütend machte und ihn an zersetztes Öl und Stahl erinnerte.  Er wußte nicht, wie lange er dort gewesen war, aber er erinnerte sich, daß er anschließend vor den Kreis der Neun - keinen geringeren als den legendären Grauen Rat - geschleppt und dann hierher, in eine kalte, dunkle, kleine Zelle irgendwo auf der Oberfläche, gebracht worden war.  Er hatte versucht, die Zelle abzuschreiten - drei Schritte lang, zwei breit - aber als das wenig half, um seine Langeweile zu lindern, versuchte er, sich ein Bild von Anna zu machen, nicht wie sie jetzt war, sondern wie sie gewesen ist, als sie sich das erste Mal trafen, als sie von seiner Schwester Elizabeth vorgestellt wurde.  Als das nicht die Zeit totschlug, wandte er sich zu seiner Tochter, ebenfalls Elizabeth genannt, und zu der Zeit, als er sie zuletzt gesehen hatte, begraben unter einer Tonne von gefallenen Steinen, als die Minbari Orion 7 bombardiert hatten.  Er war nicht einmal in der Lage gewesen, ihre Leiche zu finden.
      Nicht nur seine Tochter war an jenem Tag gestorben.  Seine Frau war es ebenfalls, zumindest innerlich.  Sie war zusammengebrochen und hatte eine Mauer um alles errichtete, das sie war und jemals sein würde, und sie durchbrach die Mauer nur durch das Trinken.  Er vermutete, daß auch er an jenem Tag gestorben war, und seine Mauer war ähnlich der ihren, aber seine wurde nur durch Kampf durchbrochen.  Der letzte Angriff gegen die Centauri im Sektor 14.  Der selbstmörderische Angriff auf das Schiff des Grauen Rates über dem Mars.  Die Befreiung von General Hague auf Orion.
      In seinem Herzen war Captain John J. Sheridan tot, aber die Menschheit war es ebenso, deswegen machte es kaum einen Unterschied.
      Er stutzte, als der das Geräusch einer sich öffnenden Tür hörte.  Das Licht blitzte kurz auf, als irgend jemand hinein trat, und dann umgab ihn wieder Dunkelheit.  Dunkelheit und ein Geruch.  Orangenblüten.  Es war unmöglich, aber es waren Orangenblüten, genau wie im Garten seines Vaters als Kind.
      Und dann war da Licht, und die dreißig Jahre alte Erinnerung verblaßte.  Eine Minbarifrau stand vor ihm.  Er hatte sie in der Halle streiten gesehen.
      „Ich grüße Sie,” sagte sie sanft in Englisch.  „Ich heiße....”
      „Satai Delenn,” beendete er für sie, während er sie genau studierte.  Sie schien fast.... zerbrechlich, aber ein Feuer brannte in ihren Augen, ganz knapp unter der Oberfläche.  Sie schien ihn zu studieren.  „Ich hörte, wie Ihr Name im Rat genannt wurde.  Sie sind diejenige, die mich hierhin schicken lassen wollte.”
      „Sie sprechen unsere Sprache?”  Sie hörte sich nicht überrascht an.
      „Sie sind nicht die einzige, die kleine Stückchen einer anderen Sprache aufgeschnappt hat.  Was hindert mich daran, Sie hier und jetzt umzubringen?”
      „Sie könnten es versuchen, aber Sie würden scheitern.”
      „Sie können mich nur einmal töten.  Was habe ich zu verlieren?”
      Sie neigte langsam ihren Kopf.  „Sicherlich haben Sie etwas, für das Sie leben.”
      „Ja.  Das habe ich.  Die Hoffnung,daß ich ein paar mehr von euch Monstern töten kann, bevor ich sterbe!”
      Sie schien überrascht.  „Ein solcher Haß,” wisperte sie in ihrer Muttersprache und dann etwas über Valen.  „Wie können Sie mit einem solchen Haß leben?”
      „Ganz einfach, wenn das alles ist, das man zehn Jahre lang gehabt hat.  Sie nahmen mir mein Leben, meine Heimat, Eltern, Schwester, Tochter.... Sie nahmen mir alles weg, bis der Haß alles war, das mir blieb.”
      „Und alles, was Sie verdienen?”
      „Vielleicht, aber das ist mir bereits egal.”
      „Dann habe ich eine Frage.  Warum haben Sie mich nicht angegriffen?  Ich bin Satai.  Ich bin die Verkörperung von allem, was Sie hassen.  Warum haben Sie nicht versucht, mich zu töten?”
      „Weil Sie das von mir erwarten, und ich wurde nicht dadurch der Sternenkiller, indem ich tat, was die Leute von mir erwarteten.”
      „Sie scheinen fast stolz auf diesen Titel.”
      „Im Kampf erworben, mir durch meine Feinde verliehen.  Ich bin sogar verdammt stolz darauf.”
      „Ich bin genauso stolz auf meinen Titel.  Satai.  Vielleicht verstehen Sie das, Captain?”
      „Was auch immer.  Ich nehme an, Sie sind hier, um mich zu verhören?”
      „Nein.  Ich wollte nur reden.”
      „Und Sie erwarten, daß ich das glaube?”
      „Nein,” sagte sie sanft.  Dann löschte sie ihr Licht aus und ging, und Sheridan starrte hinter ihr her, während nur Spuren von Orangenblüten auf ihre Anwesenheit hinwiesen.
      „Sie war interessant, nicht wahr?” sagte eine andere Stimme.  Eine weibliche Stimme.  Sie sprach Englisch.
      „Wer? Wo sind Sie?”
      „Hier drüben, Captain.  Oh, vielleicht ein wenig Licht.”  Da war ein kleines und schwaches Licht, welches das Gesicht einer Frau in der Ecke der Zelle erleuchtete.  „Ich kam mit ihr zusammen herein, und versteckte mich hier.  Sie hat mich nicht gesehen.  Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen zu machen.”
      „Ich habe Sie ebenfalls nicht gesehen.  Was tun Sie hier, und wie kamen Sie hierher?  Minbar ist nicht unbedingt voll von Menschen.”
      „Ich habe einige.... Freunde hier und da.  Keine Sorge, Captain, ich kam nur, um Sie zu sehen.  Um zu.... reden.  Nachdem wir das getan haben, werden wir beide abreisen.”
      „Oh, einfach so?  Durch die Tür hinausgehen?”
      „Genau.”
      „Habe ich ein Glück!  Ich stecke mitten in einer Minbarizelle mit entweder einer Wahnsinnigen oder einer Halluzination.”
    „Ich bin wohl kaum verrückt, Captain, und sehr real.  Übrigens, mein Name ist Susan Ivanova und ich habe eine Frage an Sie.  Eine wirklich recht einfache Frage.
      „Captain, was wollen Sie?”



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